Wie man sich zum Affen macht

Löwe, Elefant, Krokodil, Affe, Nashornvogel, Leopard, Papagei, Eidechse, Springbock, Erdferkel, Beutelratte oder Adler? Dies war die Frage, die alle im Dorf beschäftigte, und die jungen Männer am meisten: die Totemtierfeier, bei der jeder junge Mann von einem Tiergeist ausgewählt werden würde, stand kurz bevor. Die meisten Jäger hofften auf Löwe oder Leopard wegen ihrer Stärke und ihrer scharfen Sinne, aber die Wahl hatten die Totemtiere, nicht die Jäger. Der Schamanenschüler Wagambi war entspannt: er wusste, dass jedes Totemtier besondere Fähigkeiten hatte und dass jedes ihm helfen könnte, wenn auch auf unterschiedliche Weise.

Seit mehreren Tagen schon braute der Dorfschamane Isso den Sud, der die jungen Männer und ihre Totemtiere zusammen bringen würde. Der dichte Rauch seines Feuers war in den Nachbardörfern gesehen worden, und es waren über hundert Gäste erschienen, die an der Feier teilnehmen würden. Darunter waren einige junge Frauen im heiratsfähigen Alter: es gab zwar noch die großen Heiratstreffen, bei denen sich Familien aus hunderten Kilometern Umkreis trafen und Ehen planten, aber eine Totemtierfeier war auch eine gute Gelegenheit, einen Partner oder eine Partnerin von außerhalb des eigenen Dorfes zu finden. Deswegen hatten die Gäste ihre wertvollsten Schmuckstücke dabei und trugen fein gewebte, bunte Stoffe und seltene Felle, und die Gastgeber wollten nicht zurückstehen.

Am Tag der Festes saßen die zwölf jungen Männer gemeinsam in einer Hütte. Sie wussten, dass draussen gegessen, getrunken, getrommelt und gefeiert wurde, und der Duft gebratenen Fleisches zog zu ihnen herein. Sie alle hatten seit zwei Tagen nichts gegessen, um den Sud so wirksam wie möglich zu machen, und einigen knurrte der Magen laut. Die Grundlage des Suds war Palmwein, aber es gab noch einige geheime Zutaten, die Wagambi eines Tages erfahren würde. Was sie alle wussten, war die Wirkung des Suds: er ermöglicht eine Reise in die Geisterwelt und den Kontakt mit einem Totemtier. Für Wagambi war das natürlich viel weniger aufregend als für die anderen, weil er als werdender Schamane regelmäßig in die Geisterwelt reiste. Natürlich nicht weit, ein weite Reise wäre ohne den Schutz eines Totemtiers viel zu riskant.

Das andere Thema, das die jungen Männer in der Hütte beschäftigte, waren die Besucher, und besonders die jungen unverheirateten Frauen. „Diese Ekimi ist die schönste, ich hoffe, ich bekomme sie ab.“ sagte einer. „Ja, auf ihrem Hintern könnte man eine Kalebasse abstellen“, meinte ein anderer. „Ihr Totem ist die Vogelspinne, das verträgt sich nur mit Elefant und und Eidechse.“ „Die Eidechse hat also auch etwas Gutes“, warf ein dritter ein. „Ich würde gerne Sanoun heiraten: ihr Hintern ist zwar klein, aber sie hat das schönste Lächeln.“ „Wartet ab, was für Totemtiere Euch auswählen, erst dann wird sich herausstellen, welche Frau zu Euch passt.“ sagte Isso. Dann schleppte er die große Kalebasse mit dem dampfenden Sud in die Hütte und erklärte noch einmal, was passieren würde.

„Ihr werdet einer nach dem anderen von dem Sud trinken. Dann kommt ihr an einen dunklen Ort, wie eine Höhle, aber ihr werdet nicht weit entfernt ein Leuchten sehen, wie von einem großen Feuer. Geht darauf zu, und ihr kommt in einen gewaltigen Raum, in dem sich die Totemgeister befinden. Geht in die Mitte und wartet, dass ein Geist Euch auswählt. Das wird ein wunderbarer Moment werden: ihr werdet das Totemtier in Euch spüren, ihr werdet Dinge von ihm lernen, und es wird Euch immer besser kennenlernen. Und ihr werdet immer noch in dem großen Raum sein, aber ihr werdet gleichzeitig draußen vor der Hütte sein und tanzen wie Euer Tier, und alle werden sich mit Euch freuen. Auch wenn es die Eidechse wird und nicht der Löwe.“ Isso lachte kurz und fuhr fort: „Danach werdet ihr auch ohne den Sud eine besondere Bindung zu allen Tieren dieser Art haben. Und alles andere werdet ihr selbst herausfinden. Seid ihr bereit?“

Alle waren bereit, und der erste junge Mann durfte aus der Kalebasse trinken. Als er zusammenbrach, erschraken die anderen, aber Isso beruhigte sie. Und tatsächlich stand der junge Mann nach wenigen Momenten wieder auf und bewegte sich etwas unbeholfen aus der Hütte. Draußen wurden die Trommeln und der Gesang lauter, und nach kurzer Zeit hörten die Verbliebenen, wie draußen das Wort ‚Elefant‘ gerufen wurde. Isso warf einen kurzen Blick hinaus, dann gab er dem nächsten jungen Mann die Kalebasse. Diesmal war niemand mehr überrascht, als er kurz zu Boden fiel, und auch er verließ die Hütte. Es dauerte etwas länger, bis von draußen das Wort ‚Erdferkel‘ deutlich zu hören war.

Der dritte und der vierte junge Mann wurden beide vom Leoparden ausgewählt, und einige der jungen Männer in der Hütte schauten erleichtert. Sie hatten vermutet, dass jedes Totemtier sich einen jungen Mann auswählen würde, und hatten Sorge, die Eidechse oder den Nashornvogel abzubekommen. Den nächsten wählte der Springbock, dann Löwe, Beutelratte und Krokodil.

Als die Hütte leerer und leerer wurde, sah Wagambi Isso genauer an. Der alte Schamane wirkte erschöpft, was nach der anstrengenden Zubereitung des Suds nur zu erwarten war. Aber in seinen Augen lag auch eine Sorge, die nicht zum Festtag passen wollte. Wagambi warf ihm einen fragenden Blick zu, aber Isso signalisierte ihm, Ruhe zu bewahren, ohne dass die anderen jungen Männer es bemerkten.

Die Zeremonie ging voran: noch ein junger Mann wurde vom Löwen ausgewählt, der nächste von der Eidechse. Als der vorletzte die Hütte verlassen hatte, waren nur noch Wagambi und Isso in der Hütte, und Isso ergriff das Wort. „Wagambi, mir war wichtig, dass diese jungen Männer alle ihre Totemtiere finden. Ich bin froh, dass die Zeremonie soweit gut verlaufen ist. Aber ich habe ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmt nicht, und ich bin nach den ganzen Zaubern, die ich beim Herstellen der Suds wirken musste, nicht in der Lage, auf die andere Seite zu reisen und nachzusehen. Du bist fast schon Schamane, Du kannst ohne diesen Sud auf die andere Seite reisen. Tu das und schau nach, was nicht stimmt. Je schneller, je besser. Vielleicht täusche ich mich ja.“ Dann hängte Isso Wagambi noch eine goldene Kette aus zwölf rechteckigen Gliedern um. In jedes Kettenglied war eine Tierzeichnung eingraviert. „Dich werden alle zwölf Totemtiere beschützen, solange Du Deines noch nicht gefunden hast.“ sagte Isso noch. „Und jetzt sieh nach – gute Reise.“

Wagambi konzentrierte sich und befand sich bald darauf in der Geisterwelt. Als erstes sah er das Leuchten, das den Weg zu den Totemtieren weisen sollte: es war heller als ein großes Feuer, fast schon wie ein Buschbrand. Aber da erklang auch schon eine Stimme in seinem Kopf: „He Du, kannst Du mich vielleicht hören? Oder bist Du auch vom Palmwein beduselt?“ Diese Stimme kannte Wagambi: sie gehörte Diobi, einem verstorbenen Vorfahren. Diobi war Issos Lehrer gewesen, und Wagambi kannte ihn schon seit vielen Jahren. Allerdings sprach Diobi sonst gewählter. „Diobi, ich bin es, Wagambi. Was ist passiert? Isso hatte ein schlechtes Gefühl und hat mich ohne den Trank hergeschickt.“ „Das war gar nicht so blöd von Isso. Noch schlauer wäre es gewesen, wenn er Dich früher hergeschickt hätte. Hast Du schon gelernt, wie man ein Sasabonsum bekämpft?“

Wagambi erschrak. „Nein“ antwortete er. „Und ich kann Isso nicht holen: er hat keine Kraft mehr, um herzukommen.“ Er hatte noch nie einen erschrockenen Geist gesehen, aber Diobi wirkte plötzlich noch bleicher als sonst. „Das Ungeheuer muss mit irgendwelchen dummen Besuchern gekommen sein.“ sagte er. „Ein paar von den anderen Geistern und ich haben es bisher ablenken können, aber wenn es an den Baobab kommt, wird es die Seelen der Alten verzehren. Ich kann es noch ein wenig weiter ablenken, aber lass Dir etwas einfallen.“ Dann bemerkte Diobi die goldene Kette mit den zwölf Totemtieren. „Die Kette der Schutzgeister! Damit kannst Du Dir ein Tier auswählen und musst nicht abwarten, welches Tier Dich auswählt. Drück einfach auf die Seite der Tieres, das Du rufen möchtest.“

Wagambi überlegte. Er hatte keinen Plan, wie man das Sasabonsum bekämpfen könnte. Er wusste natürlich, dass Sasabonsums wie Menschen in beiden Welten existieren können, dass sie gerne auf Bäumen sitzen, um sich auf Menschen zu stürzen, die unter dem Baum vorbeigehen, und dass erfahrene Schamanen Schutzzauber und Bannzauber gegen Sasabonsums wirken können, aber das half alles nicht weiter. Der klügste Schutzgeist war der Papagei, und Wagambi beschloss, ihn herbeizurufen. Aber so sehr er auch auf das Kettenglied mit dem Papagei drückte, er erschien nicht. Diobi bemerkte dies und sagte: „Irgendetwas stimmt nicht mit den Vögeln. Keiner von ihnen ist zum großen Licht gekommen.“ „Das große Licht“ antwortete Wagambi. „Das Sasabonsum mag kein Licht, oder? Ich werde versuchen, es dorthin zu locken, vielleicht wird es durch das Licht geschwächt.“ „Das wird nicht leicht sein“ antwortete Diobi. „Das Sasabonsum ist fast so dumm wie eine Eintagsfliege, aber es wird trotzdem das Licht meiden“.

„Vielleicht nicht“ antwortete Wagambi und drückte auf den Affen.

Die Stammesangehörigen und ihr Besucher sangen und trommelten immer noch und sahen den elf jungen Männern zu, die im Tanz ihre neuen Totemtiere kennenlernten. Die zahlreichen Löwen und Leoparden knurrten sich gegenseitig an, der Springbock sprang mit großen Sätzen durch die Gegend, das Krokodil kroch über den Boden, und die Eidechse hatte sich versteckt. Vielleicht merkten einige, dass noch ein junger Mann fehlte, aber niemand war bereit, das Risiko einzugehen und den Schamanen in einer heiligen Handlung zu stören.

Irgendwann öffnete sich die Tür der Hütte und der Schamane Isso kam heraus. Er bewegte sich torkelnd durch die Feiernden hindurch an den Dorfrand. Das war unerwartet, und noch unerwarteter war, dass das Feuer erlosch, an dem Isso gerade vorbeigetorkelt war. Dieses befand sich unter einem Baum, und auf diesem Baum saß der Schamanenlehrling und warf reife Früchte zu Boden. Nein, er saß nicht, er turnte wie ein – ja, wie ein Affe durch die Äste. Die elf anderen jungen Männer hielten inne und sahen in Richtung des erloschenen Feuers. Dann nahmen die Löwen und Leoparden eine Jagdformation ein, und der Elefant drohte mit aufgeklappten Ohren und aufgerichtetem Rüssel in Richtung des erloschenen Feuers. Es schien so, als würde der Affe die anderen Tiere dirigieren auf der Jagd nach einem unsichtbaren Gegner, und sie bewegten sich langsam in die Richtung, in die zuvor der Schamane Isso verschwunden war.

Wagambi wurde immer unsicherer, ob der Plan aufgehen könnte. Der erste Teil hatte hervorragend funktioniert: der Affe hatte Wagambi ausgewählt, und gemeinsam hatten sie das Sasabonsum mit Zweigen und reifen Mangos beworfen und es so wütend gemacht, dass es hinter ihnen hergelaufen war, weg von den Geistern der Vorfahren und näher zu dem großen Licht. Sein Totemtier hatte auch Kontakt zu dem Totemtieren der anderen elf jungen Männer hergestellt, und gemeinsam hatten sie das Sasabonsum zum Licht getrieben. Allerdings wirkte es nicht geschwächt, sondern einfach nur wütend. Immerhin schien es nicht in der Lage zu sein, einen Angriff auf die Formation der jungen Männer durchzuführen.

Plötzlich bemerkte er Isso, der nicht allzuweit entfernt war. Wie hatte er es nur geschafft, in die Geisterwelt zu kommen? Aber Wagambi ging dieser Frage nicht nach, sondern war erleichtert, dass der erfahrene Schamane es irgendwie geschafft hatte, diese Reise zu machen. Isso signalisierte, das Sasabonsum in seine Richtung zu treiben – da diese Richtung von den Geistern der Vorfahren wegführte, ging Wagambi gerne darauf ein. Die anderen, die das erste Mal in der Geisterwelt waren, konnten weder das Sasabonsum noch Isso erkennen, aber Wagambi leitete sie. Gemeinsam trieben sie das Ungeheuer in Richtung der Felsklippe, auf der Isso stand. Als sich das Sasabonsum unter ihm befand, sprang Isso darauf herunter und umklammerte es. Aber er war schwach, das Sasabonsum konnte ihn abschütteln und nahm ihn in einen Würgegriff. Da gab Wagambi das Zeichen zum Angriff, und gemeinsam gelang es den zwölf jungen Männern und ihren Schutzgeistern, das Sasabonsum zu besiegen.

Wagambi kümmerte sich um Isso, der halb unter dem Sasabonsum lag. „Das hast Du gut gemacht.“ flüsterte Isso. „In der Gemeinschaft liegt die Stärke.“ „Genau, und die Gemeinschaft braucht Dich. Lass uns zurückreisen: ein paar Heilzauber kann ich noch wirken“ antwortete Wagambi. „Nein, ich bleibe auf dieser Seite, bei Diobi und den ganzen anderen Vorfahren. Ich konnte keinen Schutzzauber mehr wirken, und das Sasabonsum hat meine Seele besudelt.“ erwiderte Isso. „Unsere Gemeinschaft braucht einen Schamanen, aber er muss nicht Isso heißen. Du wirst noch einiges lernen müssen, aber Du wirst ein guter Schamane werden. Und ich bin nicht weit entfernt, wenn Du einen Rat brauchst. Was bei deinem Totemtier gar nicht so oft sein wird. Außerdem musst Du noch Kraft für einen Zauber aufbewahren: wenn ihr alle wieder auf der anderen Seite seid, werden Eure Totemtiere in Eure Oberkörper geritzt. Der Sud sorgt dafür, dass die anderen die Schmerzen nicht spüren, aber Du kannst den Zauber der Schmerzunterdrückung wirken.“ „Ja, den kann ich. Aber ich werde trotzdem erstmal versuchen, Dich soweit zu heilen, dass Du reisen kannst, und dann reisen wir gemeinsam an den großen Fluss Volta, wo die Meisterschamanen wohnen. Die werden Dich wieder hinbekommen.“ Isso sah die Entschlossenheit in Wagambis Gesicht und sagte nichts mehr, während Wagambi einen Heilzauber vorbereitete und die anderen jungen Männer das Sasabonsum anhoben und Isso herauszogen.

Das Verhalten der jungen Männer bei dieser Feier war schon ungewöhnlich gewesen, aber dass die junge, schöne Ekimi zu dem Zeitpunkt zusammenbrach, als alle jungen Männer aufgehört hatten zu tanzen und eng beisammen standen, war ein Schock für alle Anwesenden. Nach kurzer Zeit und einigen Schlucken Palmwein kam Ekimi wieder zu sich, aber sie konnte kein Wort mehr sprechen.

Elf junge Männer kehrten zur Feier zurück, und sie tanzten weiter ihre Tiere, bis sie entkräftet zu Boden fielen. Sobald das geschehen war, begannen die Dorfältesten, ihnen mit scharfen Messern ihre Totemtiere in den Oberkörper zu ritzen. Anschließend wurde noch eine Mischung aus Salz und Asche in die Wunden gerieben, damit die Narben schön wulstig würden.

Wagambi hatte Isso aus der Geisterwelt zurückgeholt, in seine Hütte gebracht und seine körperlichen Wunden zu heilen versucht. Dann begab auch er sich unter das Messer der Dorfältesten, und er konzentrierte sich darauf, nicht zu schreien, als in seine Brust die Affensymbole eingeschnitten wurden – was ihm nicht vollständig gelang. Aber er hielt sein Wort und reiste mit Isso in die nächstgelegene Stadt am Volta, wo es einen Meisterschamanen gab, der Issos Seele heilen konnte. Dort setzte Wagambi auch seine Ausbildung fort und lernte, die Macht des Affen für Schutzzauber gegen Sasabonsums und ähnliche Wesen zu nutzen.