Warum spielen wir, wie wir spielen?
Ich möchte auf dieser Seite gerne ein paar Worte dazu sagen, wie wir spielen. Es gibt grundlegende Unterschiede in dem, was Spielern und Spielleitern beim Rollenspiel Spaß macht. Und ich glaube, dass eine Spielgruppe nur langfristig zusammenhalten kann, wenn alle Beteiligten etwa die gleichen Ansprüche an das Spiel haben. Wir sind im Laufe der Zeit zu einer Spielweise gekommen, die ich „handlungsorientiert“ nennen möchte. Was ich damit meine, werde ich gleich erklären. Es war keine bewusste Entscheidung, so zu spielen. Das ergab sich bei uns wahrscheinlich hauptsächlich daraus, dass das eben die für mich einzige Art ist, wie ich wirklich langfristig Spielleiter sein kann. Die unten beschriebene taktikorientierte Spielweise würde mich langweilen. Die charakterorientierte Spielweise würde zwar eine zeitlang funktionieren, doch früher oder später würde ich als Spielleiter, doch wieder anfangen, eine Geschichte zu erzählen. Ich kann nicht ohne, ich kenne mich …
Handlungsorientiert, Charakterorientiert, Taktikorientiert?
Alles was ich hier als Spielleiter mache ist handlungsorientiert: Das heißt, dass ich mir eine mehr oder weniger groß angelegte Hintergrundhandlung ausgedacht habe, die die Spieler ergründen und erfahren können, dürfen und sollen. Prinzipiell bedeutet dies, dass ich eher ein Geschichtenerzähler bin, als ein „Spielweltmoderator“. Im handlungsorientierten Spiel hat der Spielleiter immer eine „hidden agenda“, die durch die Hintergrundhandlung gegeben ist und die dazu führt, dass er die Spieler fast immer zu irgendwelchen Zielen und Ergebnissen führen muss.
Ich habe gerade auf der Seite Rollenspiel-Almanach den Begriff Railroaden gefunden. Dieser Begriff wird wohl für Spielleiter verwendet, die ihre Spieler sehr enge Handlungsspielräume lassen, um ein bestimmtes Handlungsziel zu erreichen. Ein Beispiel für so etwas könnte sein, wenn ein Spielleiter versucht, z.B. den ersten Indianer Jones Film als Vorlage für sein Abenteuer zu verwenden. Er muss dann – egal was die Spieler tun – dafür sorgen, dass sie irgendwie in dem alten Tempel ankommen, um das Affenhirn serviert zu bekommen. Es ist klar, dass das auf Kosten der Freiheit der Charakterentwicklung der Spieler gehen muss.
Nun werden die wenigsten Spielrunden, explizit irgendwelche Vorgefertigten Romane oder Filme nachspielen. (Was für Deppen hatte Indiana Jones noch an seiner Seite? Schon vergessen? Wer wollte die spielen?) Wenn sie es doch tun, dann wissen alle, was von ihnen verlangt wird.
Ich werde den Begriff „Railroaden“ hier nicht weiter verwenden, möchte aber ein paar Hinweise geben, wie ich mit dem Thema umgehe und zeigen, dass handlungsorientiertes Spielen nicht unbedingt bedeutet, die Spieler nennenswert einzuengen.
Im handlungsorientierten Spiel überlegt sich der Spielleiter, was im Hintergrund gerade passiert ist, welche Hinweise darauf die Spieler im nächsten Schritt erhalten sollen, welche Personen, Orte oder Fakten sie kennen lernen müssen, usw. Der Spielleiter hat hier folgende große Aufgaben:
a) Die Handlung in spielenswerte, interessante und spannende Einzelabenteuer umsetzen.
b) Die Spieler zu motivieren, in die Richtige Richtung zu laufen, ohne dass sie das Gefühl haben, geführt zu werden oder nur eine Handlungscheckliste des Spielleiters abzuarbeiten.
Da Punkt a) die grundlegende Aufgabe jedes Spielleiters ist, will ich hier nur auf Punkt b) eingehen.
Es gibt meiner Meinung nach vier Varianten, wie man Spieler dazu motivieren kann, etwas zu tun.
a) Die intrinsische Motivation
Ihre Charaktere tun etwas, weil es ihrem Charakter entspricht. Was das jeweils ist, muss der Spielleiter vom Spieler erfahren oder sich einfach aus dem Hintergrund der Charakter ergeben. Es gibt hier aber drei Varianten:
In der ersten sind die Motivationen des Charakters gleich denen des Spielers: Der Krieger kommt endlich zu seiner Schlacht (deswegen spielt der Spieler ihn ja auch), der Hexer kann endlich sein Labor bauen (darüber freut sich auch der Spieler), usw.
In der zweiten Variante wird der Charakter motiviert, aber u.U. nicht der Spieler. Beispielsweise werden die Eltern eines Charakters bedroht. Der Charakter hat dann sofort eine eigene Motivation, sich um seine Eltern zu kümmern. Möglicherweise wollte der Spieler aber mit dem Charakter gerade etwas ganz anderes machen – aber hier muss er sich dann seinem Charakter unterwerfen.
Die mögliche dritte Variante, den Spieler zu motivieren und nicht den Charakter sollte man vermeiden. Der Spieler kann zwar den Krieger auch Choräle singen lassen, aber glaubwürdig ist das nicht. Das wird dann bestenfalls ein Fun-Abenteuer (was auch ja mal ok ist), im schlechtesten Fall werden die Spieler genervt sein, weil sie Ihrer Charaktere nicht so spielen können, wie sie das wollen.
Wenn sich ein Spieler für einen bestimmten Charakter entscheidet, dann muss der Spielleiter Möglichkeiten schaffen, dass der Spieler diesen Charakter auch ausspielen kann.
b) Der Auftrag
Die Charaktere treffen auf einen Auftraggeber, der ihnen einen Job gegen materiellen oder immateriellen Lohn anbietet. Theoretisch könnten sie den Auftrag ablehnen. In der Praxis wird der Auftrag aber meistens angenommen. Wenn die Annahme des Auftrags für den Spielleiter wichtig ist (Normalfall), dann sollte er ihn aber gut motivieren.
c) Der Befehl
Das ist nur möglich, wenn es Personen gibt, die den Charakteren Befehle geben können. Hier haben die Spieler vorher ihre Charaktere in eine Position gebracht, in denen ihnen Befehle gegeben werden können und sie sind damit einverstanden. Befehlsgeber können beispielsweise vorgesetzte Offiziere, Könige, Familienoberhäupter oder die, die die Charakter gefangen haben, sein.
d) Die Entführung
Die Spieler wurden entführt und versuchen dann – logischerweise – sich wieder zu befreien.
Im handlungsorientierten Spiel hat der Spielleiter zwei Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass die Spieler sich nicht eingeengt fühlen. Zum einen muss er die Hintergrundhandlung so gestalten, dass die Spieler sie spannend finden und ihr freiwillig folgen. Dann gibt es auch kein Problem damit, dass es öfter mal „logische nächste Schritte“ gibt. Sie folgen einer Spur wie der Kommissar im Krimi. Die zweite Möglichkeit ist, dass er versucht, die Spieler immer wieder unterschiedlich zum nächsten Schritt zu motivieren. Vielleicht werden die Spieler im ersten Schritt entführt. Bei der Befreiung lernen sie denn, wer sie entführt hat und wollen sich im nächsten Schritt an ihm rächen. Durch den Rachefeldzug ist jemand auf sie Aufmerksam geworden, der ihnen dann danach einen Auftrag gibt. Dazu müssen sie sich in einer Truppe einschleusen, wo sie Befehle erhalten.
Das ist im Handlungsorientierten Spiel alles möglich, man muss es aber gut planen.
Ganz wichtig im handlungsorientierten Spiel: Man darf sich als Spielleiter nicht hetzen lassen. Wenn die Spieler zwischendurch mal was ganz anderes und eigenes machen wollen, dann soll man sie das auch tun lassen. Wenn sie danach nie auf die Hintergrundhandlung zurück kommen, dann war sie nicht gut genug, Spielleiter!
Andere Spielrunden spielen eher charakterorientiert. Ich vermute, dass es mehr Spielrunden mit charakterorientiertem Spiel gibt als mit handlungsorientiertem Spiel.
Im charakterorientierten Spiel nutzen die Spieler viel mehr Freiheiten, was (auch extreme) Eigenschaften ihrer Charaktere angeht. (Der Krieger, der sich weigert, eine Stellung zu stürmen, weil er Angst vor engen Räumen hat). Die Spieler haben sich in der Regel viele Gedanken über den Charakter ihrer Spielfigur und deren Hintergrund gemacht. Sie wollen diese Rolle sehr schauspielhaft ausspielen. Der Spielleiter muss ihnen dies ermöglichen. Dazu muss er Situationen detailliert beschrieben, es gibt viel direkte Rede zwischen Charakteren und Nicht-Spieler-Figuren. (Weniger „Mein Charakter sagt, dass er mitkommt“ sondern „Ich komme mit!“) und muss mit viel mehr für ihn im Vorfeld unplanbaren Situationen rechnen.
Spielen die Charaktere ihren Charakter stark aus, ist es für den Spielleiter unter Umständen schwieriger, eine große Hintergrundhandlung aufzubauen. Wenn ein Charakter sich mit dem Geld des letzten Abenteuers einen langgehegten Traum erfüllt und eine Burgruine kauft und wieder aufbauen will, dann wird der Spielleiter unter Umständen ein Problem haben. Wenn er den Charakter nämlich gerade auf eine jahrelange Seereise zu den Inseln hinter dem Wind zu schicken möchte, um dort die Quelle einer dunklen dämonischen Bedrohung zu suchen, wird er weder bei dem Charakter noch dessen Spieler auf viel Gegenliebe stoßen.
Auch im charakterorientierten Spiel kann man lange Hintergrundhandlungen spielen, man muss aber mit größeren Umwegen und wesentlich mehr Aufwand rechnen. Auch kann es passieren, dass die Atmosphäre der Hintergrundhandlung hinter dem Charakterspiel zurück tritt. Hat der Spielleiter einige Zeit (=Abenteuer) dazu verwendet, eine düstere und bedrohlich Stimmung wegen der Dämonen von den Inseln hinter dem Wind aufzubauen, so kann diese wieder zerstört werden, wenn man sich jetzt erst Mal um die Geister auf dem Burgfriedhof, die Reise zum Hersteller der besten Wandteppiche für den großen Burgsaal und die Organisation von Handwerkern, die das kaputte Burgdach abdichten sollen, kümmern muss. (Auch wenn das alles schöne Abenteuer sein können!)
Das muss man wissen und sich überlegen, was man will. Natürlich ist das keine schwarz/weiß Entscheidung. Auch im Handlungsorientierten Spiel können und sollen(!) Charaktere entwickelt und ausgespielt werden. Es läuft hier eher darauf hinaus, dass ein Konsens darüber getroffen wird, das die Spieler bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Im Gegenzug vertrauen sie dann aber zurecht darauf, dass der Spielleiter sie mit Spaß versorgt – wenn sie ihn schon nicht immer selbst machen dürfen.
Diese Entscheidung ist eine Entscheidung, die die ganze Gruppe einheitlich treffen muss. Ansonsten hat man auf Spielerebene ständig den Konflikt zwischen denen, die von den „ständigen Eskapaden“ anderer Spieler genervt sind und denen, die aber ihren Spielcharakter gerne „ausspielen“ möchten.
Eine weitere Spielergruppe, die mir begegnet sind, sind die, die gerne taktische Situationen durchspielen, dabei die tiefsten Detail ihrer jeweiligen Rollenspielsysteme erforschen und versuchen, sie optimiert auszunutzen. Sie setzten gerne Bleifiguren auf Hex-Raster, wälzen Tabellen mit Angriffsmodifikatoren und entwickeln Zauberspruchkaskaden, um den ausgeteilten Schaden zu optimieren. Sie vergleichen Rollenspielregelwerke auf ihren „Realismus“ und ihre Möglichkeiten.
Auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen: Das ist für mich kein Rollenspiel. Rollenspiel bedeutet für mich, das Eintauchen in eine Spielwelt, eine Handlung und einen Charakter. Das kommt mir beim taktikorientierten Spiel zu kurz. Es macht durchaus auch mal Spaß, in einem Kampf ein paar Figuren zu setzen, oder ein Table-Top zu spielen, das ist aber für mich auf Dauer kein Rollenspiel.
Was unser Spielgruppe angeht, so spielen wir (mittlerweile) mit einem absolut minimalistischen eigenen Regelwerk, das noch geringfügige Ähnlichkeiten mit Midgard 2 hat. Es wird, sieht man einmal von einer Tabelle von Zaubersprüchen ab, wahrscheinlich auf 2 Seiten Text passen. (Ich werde es sehen, wenn ich die entsprechenden Seiten für Ludibundus geschrieben habe). Kompliziertere Kämpfe stellen wir mit „Figuren“ (=Würfel, echte Figuren hat keiner) auf und zählen Kampfrunden. Das ist immer Mal eine willkommene Abwechslung.
Unser regeltechnischer Hintergrund
Jeder von uns hat mehr als 20 Jahre Rollenspielerfahrung auf dem Buckel. Wir haben fast alle unsere Wurzeln im Rollenspielsystem „Midgard“, das wir über viele Jahre gespielt haben, bevor wir uns in dieser Gruppierung zusammen fanden. Ich rede hier von Midgard in der Version 2, die 1985 erschienen ist.
Wir begannen Ende der 80er-Jahre an zu spielen. Es gab damals weniger Rollenspielsysteme als heute und kein Internet. Wer nicht tief in der Szene steckte, sondern nur ein bisschen an deren Rande schnupperte, kannte eigentlich nur AD&D und das Schwarze Auge. Midgard war da schon fast ein Exot – aber eben eines von zwei nennenswerten deutschen Rollenspielsystemen.
(Verlag für Fantasy- & SF-Spiele)
Ausrüstung kaufen, Flüsse überqueren, Mauern abklopfen
Am Anfang spielten wir wie wahrscheinlich die meisten anderen auch: Wir klopften Wände ab, um Geheimtüren zu finden und die Ork-Wachen auf der anderen Seite der Mauer anzulocken, wir fielen von provisorischen Baumstammbrücken in Krokodil-verseuchte Flüsse, verhandelten, ob das verrostete Schwert 2 oder 3 Kupfernickel kosten darf, und so weiter, und so fort.
Vielleicht wurden wir einfach nur älter, vielleicht macht aber das Wändeabklopfen ab Wandkilometer 237 nicht mehr so viel Spaß, die Orks verursachen nur noch ein müdes Schulterzucken, die Brücke baut man im Schlaf, für die Krokodile hat man bereits die passenden Handtaschenknöpfe dabei und man zieht eher ohne Schwert los, als das man zum 1423. Mal über dessen Preis verhandelt.
Im Ergebnis: Solche Sachen spielen wir fast nicht mehr. Über Ausrüstungspreise – außer von ganz besonderen Gegenständen (Bsp. ein Überlichtantrieb für ein Raumschiff) – wird nicht mehr verhandelt. Ich sorge dafür, dass die Spieler genügen Geld für ihre Basis-Ausrüstung haben.
Immersives Spiel und Charaktere
Die Zeiten, als wir noch Studenten waren und einmal in der Woche einen 6-8-stündigen Spielabend hinlegen konnten, sind lange vorbei. Jetzt sind wir alle berufstätig. Und da wir nur am Freitag Abend einen regelmässigen Termin überhaupt hinbekommen können, taumeln wir also regelmässig nach einer langen Arbeitswoche in irgendeines unserer Wohnzimmer (die alle wesentlich besser ausgestattet sind als noch zu Studentenzeiten), eigentlich mit dem Bedürfnis, es sich auf dem Sofa bequem zu machen und in eine eigene Traumwelt zu entflüchten. Wenn da nur der Spielleiter nicht wäre, der auf einer vergemeinschafteten Traumwelt besteht und ständig dazwischen quatscht. (Oder auch Mal mit Kissen wirft.)
Sprich: Tiefe immersives Charakter-Rollenspiel gibt es bei uns (leider) nicht mehr so sehr. Es würde mit uns einfach nicht mehr klappen. Allerdings ist es in Phase 3 wieder mehr geworden.
Hin und wieder werden natürlich auch mal ein paar Brücken gebaut oder Mauern Schritt für Schritt erklommen. Doch oft genug passiert es, dass wir (und insbesondere auch ich als Spielleiter) sagen „Ach, Ihr werdet da schon irgendwie hochkommen – das wollen wir jetzt nicht ausspielen, oder?“
Was kennzeichnet unser Spiel?
Dadurch, dass wir viel Kleinkram (wie oben erwähnt) nur selten ausspielen, kommen wir oft sehr schnell in unserer Handlung weiter. Ich glaube, dass man das auch sieht, wenn man sich beispielsweisew die Handlung von Phase 1 ansieht und wieviele 3-4 stündige Spielabende wir dafür benötigt haben. Andere Spielrunden, oder auch wir früher, hätten für diese Gesamthandlung viel mehr Spielzeit benötigt.
Inhaltlich basiert unser Spiel fast immer auf einen großen Rahmenhandlung, die sich im Hintergrund und in der Vergangenheit abspielt, über die die Spieler im Laufe der Zeit Informationen erhalten und mit deren Konsequenzen sie sich auseinander setzen dürfen. Und ich rede hier wirklich von einer Handlung und nicht von einer Spielwelt, in der viele Parteien irgendwie agieren und so einen Rahmen für das bilden, was die Spieler tun. Meine Spieler sind immer wichtig im Rahmen einer großen Handlung.
Warum spielen wir?
Ganz einfach: Weil es Spaß macht, weil wir vorher zusammen lecker essen und weil wir so einen regelmässigen Anlass haben, uns zu treffen. Mehr braucht’s nicht!